Die produktive Phase von Halldór Laxness erstreckt sich über einen ungeheuer langen Zeitraum. Sein allererster Roman, Kind der Natur, erschien nur ein Jahr nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und das letzte Buch von seiner Hand, Tage bei Mönchen, in dem er über seinen Klosteraufenthalt in den zwanziger Jahren schrieb, kam zwei Jahre vor dem Fall der Berliner Mauer auf den Markt. Die ganze Zeit über - nahezu siebzig Jahre - prägte er das Leben in Island und war eine wichtige Gestalt im Kulturleben Europas. Er veröffentlichte in achtundsechzig Jahren zweiundsechzig Titel, also fast jedes Jahr ein Buch.
Seine Werke erregten immer Aufsehen, und von Beginn an spaltete sich die isländische Nation in Laxness-Gegner und Befürworter. Gleichgültig ließen seine Bücher niemanden. Daneben wurde er nie müde, sich in Zeitungen über alles und jedes zu äußern. Laxness scheute sich nicht, in den heißen Klassenkämpfen der dreißiger Jahre Position zu beziehen; er schrieb eine Unmenge von Artikeln zu kulturellen Fragen, setzte sich für die unter allen Wetterbedingungen im Freien gehaltenen Pferde ein, weil ihm ihre Behandlung als eine nationale Schande erschien, und so ließe sich die Aufzählung von Fragen, die ihn und die Allgemeinheit gleichermaßen beschäftigten, fortsetzen. Nichts Menschliches stand ihm fern; er hatte zu allem eine Meinung. Und gleich, ob ihm die Leute zustimmten oder anderer Meinung waren, sie achteten stets auf das, was er schrieb. Es war immer von Bedeutung. Der Schriftsteller muß erst noch gefunden werden, der so umfassend am Leben seines Volkes Anteil nahm wie er, es interpretierte und zugleich darauf Einfluß zu nehmen versuchte. Von Laxness wurde gesagt, er sei der letzte Nationaldichter in den westlichen Ländern gewesen. Über Jahrzehnte begleitete die Nation jeden seiner Schritte, er war eine Art Vaterfigur gerade in Zeiten, in denen die Literatur für das Selbstbild der Isländer ausschlaggebende Bedeutung erlangte. Sie betrachteten sich gern als Literaturnation, die Sagas aus dem Mittelalter markierten das Goldene Zeitalter, und mit Laxness war ein Erbe ihrer Verfasser auf den Plan getreten.
Halldór Laxness kam zur Welt, als das zwanzigste Jahrhundert gerade zwei Jahre alt war, und er verließ sie zwei Jahre, bevor es zu Ende ging. Er erlebte die größten Veränderungen, die sich jemals innerhalb eines Jahrhunderts in Island ereigneten. Als er zu schreiben begann, war Island noch eine Agrargesellschaft, Reykjavík eine Kleinstadt, und die Mehrheit der Bevölkerung lebte auf dem Lande, und Laxness trug dazu bei, ein ganzes Volk fast aus dem Mittelalter in die Gegenwart zu befördern. Es kann daher nicht Wunder nehmen, wenn es bei seinem Tod am 8. Februar 1998 hieß, das zwanzigste Jahrhundert sei das Jahrhundert von Halldór Laxness gewesen. Wegen seiner politischen Ansichten war er lange umstritten, doch nach dem Nobelpreis von 1955 läßt sich sagen, daß sich die Isländer um ihn sammelten.